4.12.2020 gesellschaftliches Engagement
Der Solitude-Chor und sein gesellschaftliches Engagement
Ein unschätzbares Privileg des Solitude-Chors ist, dass er keinen „Dienstherren“ hat, der ihm vorschreibt, welche Stücke gesungen werden (sollen), oder noch schlimmer, welche Stücke NICHT aufgeführt werden dürfen. So wurden schon früh auch politische Statements Teil der Konzertprogramme:
Kurt Hessenberg: Die öffentlichen Verleumder (Text: Gottfried Keller)
leider gibt es von diesem Konzert keinerlei Unterlagen mehr; weder, wann es aufgeführt wurde noch in welche Rahmen (es müsste in den frühen 90er Jahren gewesen sein und im Rahmen eines Konzerts im Solitude-Gymnasium aufgeführt worden sein).
Es war eine große Herausforderung für den den Chor, da Hessenbergs zum Teil atonale Musik für den damals noch sehr jungen und unerfahrenen Chor „starker Tobak“ war und uns viele Stunden Probenzeit gekostet hat, doch die Kraft dieses Werks war unglaublich.
Die öffentlichen Verleumder ist der Titel eines Gedichts des Schweizer Schriftstellers und Politikers Gottfried Keller. 1878 aus aktuellem Anlass entstanden, brachte es Erfahrungen zur Sprache, die Keller während seiner Tätigkeit als Staatsschreiber des Kantons Zürich gemacht hatte. Das „Zorngedicht“[1] sollte ursprünglich in der Deutschen Rundschau veröffentlicht werden, erschien aber erstmals 1883 in Kellers Gesammelten Gedichten. 1933–1945 wurde es in Kreisen des deutschen Widerstands als Kampf- und Schmährede gegen Hitler aufgefasst und unter der Hand weiterverbreitet. Was die Leser erstaunte, war, dass ein Dichter des 19. Jahrhunderts Hitler vorausgeahnt und als dessen Ausgangsverbrechen und Mittel zur Machtergreifung die Verleumdung erkannt haben sollte. (Wikipedia)
Das koplette Gedicht Gottfried Keller: Die öffentlichen Verleumder
Michael Tippett: A Child of our Time
„60 Jahre Reichspogromnacht“ war uns Anlass, 1999 das erste abendfüllende Programm zum Thema Weltkrieg und Holocaust zu machen. Unter den Gästen war auch Hans Gasparitsch, ein KZ-Überlebender, der in Weilimdorf nur einen Steinwurf entfernt vom Solitude-Gymnasium wohnte und mit Dirigent Klaus Breuninger viele Jahre im Austausch war.
A Child of Our Time (deutsch Ein Kind unserer Zeit) ist ein Oratorium des englischen Komponisten Michael Tippett (1905–1998), das in den Jahren 1939 bis 1941 entstanden ist. In seinem Zentrum steht die anonymisierte Geschichte des 17-jährigen Juden Herschel Grynszpan, der am 7. November 1938 den deutschen Botschaftssekretär Ernst vom Rath in der deutschen Botschaft in Paris erschossen hat, was den Nationalsozialisten einen willkommenen Vorwand für eine das ganze Land überziehende Welle antisemitischer Gewalt, die Novemberpogrome lieferte. Es war das im 20. Jahrhundert eskalierende Schicksal der politisch-rassisch Verfolgten, das Tippett veranlasste, das drängende Problem seiner Zeit in überzeitlich gültiger Form darzustellen. Das Oratorium wurde am 9. März 1944 in London erstmals aufgeführt. (Wikipedia)
Das 1944 komponierte Stück stellte den Chor vor eine fast unlösbare sängerische Herausforderung. So war das Projekt auch die Geburtsstunde der Lern-CDs – nur mit deren Hilfe und den damit verbundenen unzähligen häuslichen Probenstunden konnte dieses Werk letztlich realisiert werden.
Leider gibt es auch von diesem Konzert keine Dokumente oder Bilder mehr (in den vor-Digital-Zeiten war das Fotografieren in dunklen Kirchen fast nur professionellen Fotografen möglich)
Zane Zalis „i believe – A HOLOCAUST ORATORIO FOR TODAY“
Für den Jahrestag „75 Jahre Reichspogromnacht“ wollten wir (wie einige Jahre zuvor mit „A Child of our Time“) wieder ein großes und würdiges Gedenkkonzert machen.
Mit Zane Zalis „i believe – A HOLOCAUST ORATORIO FOR TODAY“ gelang dem Solitude-Chor zusammen mit dem Sinfonieorchester der Universität Hohenheim ein vielbeachtetes Gedenkkonzert – gleichzeitig war es der Beginn einer großen Freundschaft zwischen Zane Zalis und dem Solitude-Chor.
mehr zu diesem Thema gibt es in einem folgenden „Türchen“ unseres Adventskalenders
Anne! Damit wir klug werden
Kein Projekt des Solitude-Chors, aber dadurch nicht weniger wichtig: Sänger*innen des Solitude-Chor haben beim Kirchentag in Stuttgart an dieser sehr gelungenen und wichtigen Aufführung mitgewirkt
Sinfonie der Kulturen
Als die Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa kamen, gab es zunächst ein große Welle der Hilfbereitschaft. Doch zunehmend wurden auch die ewig Gestrigen immer lauter, die „Deutschland“ in Gefahr sahen und leider wurden diese Proteste auch immer lauter und erschreckend gewalttätig. Über tausend Anschläge auf Asylunterkünfte im Jahr 2015 waren uns Anlass genug, nach einem Werk zu suchen, mit dem wir auf die Misstände hinweisen und unsere Solidarität mit den Geflüchteten zeigen konnten.
Adrian Werum (Orchester der Kulturen) und Klaus Breuninger (Solitude-Chor) haben gemeinsam ein Konzept erarbeitet, und so entstand aus der Feder von Adrian Werum die „Sinfonie der Kulturen“, die Wort- und Musikbeiträge der Geflüchteten einbezieht, und so ein berührendes und oft beklemmendes Werk entstand, das Flucht, Vertreibung und die Ängste der geflüchteten Menschen eindringlich schilderte.
Welturaufführung „Nostos“ von Zane Zalis
Nach „i believe“ war es Zane Zalis sehr wichtig, nicht nur den Holocaust zu beschreiben, sondern auch die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, insbesondere Flucht und Vertreibung – und war damit aktueller denn je. Die Welturaufführung im Januar 2018 durften der Solitude-Chor und das Sinfonieorchester der Universität Hohenheim unter der Leitung von Klaus Breuninger im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle machen, im Beisein des Komponisten und hochrangiger Politiker.
Auch zu NOSTOS gibt es noch ein eigenes „Türchen“ in unserem Adventskalender
Karl Jenkins: The Armed Man
…sollte ein ganz besonderes Projekt werden, allerdings aus anderen als den rein musikalischen Gründen. Auf der Suche nach einem geeigneten Konzertraum (vorzugsweise einer Kirche) erhielten wir von niemand geringerem als dem Stadtdekan Christian Hermes die kategorische Aussage, dass dieses Werk in keiner katholischen Kirche des Dekanats aufgeführt werden dürfe! Grund war, dass in Jenkins Werk viele verschiedene Religionen „zu Wort“ kommen, unter anderem auch ein Muezzin, der zum Morgengebet ruft.
Karl Jenkins‘ (vielleicht auch etwas naive) Botschaft in seinem Werk ist, dass der Friede in der Welt nur möglich ist, wenn die Menschen aller Religionen zusammen stehen. Dass nun ausgerechnet bei einem Werk, das die Versöhnung der Religionen anstrebt, die katholische Kirche eine Aufführung ablehnt, war selbst für die meisten Katholiken nicht nachvollziehbar und so zog dieses Thema immer weitere Kreise und landete schließlich sogar auf Seite eins der Regionalseite der Stuttgarter Zeitung und in einem Beitrag des SWR Stuttgart…
Die Aufführungen fanden schließlich am 2. und 3. Feb. 2019 (jeweils restlos ausverkauft) im Nikolaus-Cusanus-Haus in Birkach und in der evangelischen Andreaskirche in Obertürkheim statt – mit Muezzin.